| Beschreibung: | Der mehrfach ausgezeichnete Spielfilm „Agnus Dei - Die Unschuldigen“ widmet sich einem Tabuthema: der Geschichte polnischer Ordensfrauen, die nach dem Zweiten Weltkrieg infolge von Vergewaltigungen schwanger wurden.
Die französisch-polnische Koproduktion ist ab Freitag in verschiedenen österreichischen Programmkinos zu sehen. Die Geschichte beruht auf den Lebenserinnerungen einer Ärztin, die am Anfang ihrer Berufslaufbahn in Polen eingesetzt war. Entstanden ist daraus ein berührendes, cineastisches Meisterwerk, das ethische Fragen vor dem Hintergrund einer Extremsituation verhandelt.
Polen im Dezember 1945 - irgendwo in einer ländlichen Region. Der Krieg ist vorbei, so etwas wie Normalität breitet sich aus, auch wenn die materiellen Verhältnisse schlecht sind und die Zukunftsperspektiven ungewiss. Die Menschen versuchen, die Gräuel des Krieges hinter sich zu lassen.
Hinter verschlossenen Türen, im nahe gelegenen Frauenkloster, geht es auf den ersten Blick zu wie immer: Harte Arbeit und regelmäßiges Gebet prägen das Leben. Was erst nach und nach sichtbar wird: Ein großer Teil der Schwestern ist schwanger. Nicht, weil hier ein unmoralischer Lebensstil gepflegt würde - sondern weil die Ordensfrauen von russischen Besatzungssoldaten vergewaltigt worden sind. Nach der „Verfolgung durch die Deutschen dann die Rotarmisten und der unaussprechliche Horror, den sie mit sich gebracht haben“, so schildert es die Hausoberin in knappen Worten.
Die Frauen sind traumatisiert, Halt gibt das Fortführen des gewohnten Lebensrhythmus. Regisseurin Anne Fontaine gibt durchaus realitätsnah Einblicke in das strenge Ordensleben im Polen der 1940er-Jahre. Reduzierte Bilder und knappe Dialoge vermitteln einen plastischen Eindruck vom kargen Leben der Schwestern. Einen Kontrast dazu bieten immer wieder Großaufnahmen von ausdrucksstarken Gesichtern, so als könnten sie mitteilen, was Worte nicht formulieren können.
Gleichsam als Gegenentwurf zur Realität der Ordensfrauen tritt eine junge französische Ärztin auf den Plan, Mathilde Beaulieu heißt sie im Film: eine mutige, selbstbestimmte Persönlichkeit, die ins Kloster gerufen wird, um bei einer schwierigen Geburt zu helfen. Nach anfänglicher Skepsis fassen die Schwestern Vertrauen zu Mathilde. Diese betreut die Hochschwangeren medizinisch und gewinnt immer tiefere Einblicke in Mikrokosmos des Konvents.
Da gibt es Schwestern, die sich schuldig fühlen, weil sie meinen, ihr Keuschheitsgelübde gebrochen zu haben - wenn auch unter Zwang. Da werden Gespräche geführt über den Glauben und das Glück im Leben - nicht nur mit der zur Vertrauten gewordenen Mathilde, sondern auch innerhalb der Schwesterngemeinschaft. Wie kann Gott zulassen, dass Bräute Christi mehrfach vergewaltigt werden?
Aber es stellt sich auch die Frage: wohin mit den Neugeborenen? Das Geheimnis der Ordensfrauen darf nicht an die Öffentlichkeit gelangen, sonst würde die Kirche das Kloster schließen - und die entehrten Frauen stünden vor dem Nichts. Und so trifft die Oberin, selber von der traumatischen Erfahrung der Vergewaltigung tief gezeichnet, eine dramatische Entscheidung.
„Agnus Dei - Die Unschuldigen“ ist ein meisterhafter Film über Grenzerfahrungen, in denen richtiges Handeln schier unmöglich erscheint. Es geht um Gewalt und um Solidarität unter Frauen. Es geht um die grausamen Auswirkungen falsch verstandenen Pflichtbewusstseins - ebenso wie um Idealismus und wahre Berufung.
(Brigitte Krautgartner, für religion.ORF.at)
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